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Am Erker 58 Dez. 2009

 
 

 
Rezensionen
Robert Serban: Heimkino, bei mir

Schreiben, ein Selbstporträt
Rolf Birkholz

Wenn ein Mann in einem Lokal "mit einer schönen Zigeunerin" flirtet, die mit drei handfesten, Schnurrbärte und breitkrempige Hüte tragenden, also leicht reizbaren Burschen am Nebentisch sitzt und heimlich seine Blicke erwidert, "und ich denke / dass ich mein Glas füllen / oder die Flasche an der Tischkante zerschlagen / und die drei hinaus bitten sollte", dann wähnt man sich fast in einem Gedicht von Wolf Wondratschek.
Aber Robert Serban kann das auch. Die gefährlich prickelnde Situation gestaltet der 1970 geborene rumänische Autor und Journalist in dem Gedicht "Ein Zeichen". Es ist in dem Band Heimkino, bei mir enthalten. Aber eben im Titelgedicht dieses Bandes lässt Serban aus dem Macho-Ballon auch ein bisschen Luft raus, indem er Männer sogar in Gegenwart von Frauen weinen lässt, wenigstens "bei Filmen über den Tod / über das Leben".
Über die Poesie, den Kampf, die Liebe, das Leben und die Freundschaft handeln die fünf Kapitel des Buches. Serbans Verse, übersetzt von Hellmut Seiler, sind so sachlich gehalten wie beobachtungsgesättigt. In "Die Geschwindigkeit die ich habe" heißt es zwar, in sich hineinzublicken "kommt mir so pathetisch vor / dass ich mich beeile die Augen zu öffnen". Doch glaubt das dichterische Ich auch an seinen Stern, "den ich gerade sehe / wie er fällt / lautlos".
Das Gedicht "Ein Selbstporträt" zeigt den betrachteten Autor betrachtend: "die Männer am Nebentisch / rauchen / trinken / und schauen mir zu wie ich schreibe // dann und wann / sprechen sie Wörter in einer Fremdsprache aus / aber ich kann mir denken über wen sie reden // wenn ich zeichnen könnte / fertigte ich ein Selbstporträt an / und gäbe es ihnen". Aber er kann ja schreiben.

 

Robert Serban: Heimkino, bei mir. Gedichte. Aus dem Rumänischen von Hellmut Seiler. 80 Seiten. Pop. Ludwigsburg 2009. € 14,50.

Literaturzeitschrift „KULT“

WIDER DIE VERFÜGBARKEIT

(Norbert Sternmut, Fadenwürde, (Pop Verlag, Ludwigsburg 2009) 96 Seiten., 14,30 Euro, ISBN 978-3-937139-67-8)

von Karl-Heinz Schreiber.  

„Pop“iges von Sternmut, das wäre auch mal was – aber nein, Schluss gleich zu Beginn mit versuchten Wortspielereien, die wird der Autor (Jg. 1958) substantieller liefern.

Ungewöhnlich ist, dass zum Titel ein Titelgedicht gleich zum Einsieg präsentiert wird. Aber hoffe niemand auf eine sofort griffige Erklärung dieser Wortneuschöpfung „Fadenwürde“ –

Hier sei schlicht und ausnahmsweise die erste Strophe zitiert: „lege meine Sinne über deine Haut / in die Zeitkerze brenne ich / durch den Windsplitter / der Aufruhr der Fadenwürde / trampelt der Irrsinn durch den Hirnlappen / peitscht der Wind über das Schwundmoor.“

Hier ist Hermetik angesagt. Der moderne Lyriker beobachtet die Welt vielleicht nicht anders als wir -  aber seine Entäußerungen scheinen seltsam

chiffriert. Verbunden mit der Frage, warum uns ein Künstler die Welt in unverständlichen Worten, Tönen oder Farben wiedergibt, sollte uns freilich die Frage überfallen, ob wir denn tatsächlich die Welt verstehen, wenn sie uns in simplen Worten, Tönen, Farben begegnet?! Es ist klar: Kunst will uns sensibilisieren, zum Innehalten bewegen, zum Wechseln der Perspektive, zum Variieren der Distanz.

Dabei sind manche Texte Sternmuts dialogisch angelegt, das lyrische Ich wendet sich an ein Du, es behauptet auch ein Wir: „komm, / Wir lassen uns beirren von Sinnen.“ Und dann blüht uns „der Reichtum der Sonne der Worte“ und wir „baden im Glück der Sprache.“

Das können aber nur die Menschen mit Überzeugung tun, die mit ihrem Bewusstsein auch ihre Sprache und ihr Auffassungsvermögen entwickeln.

Eigenartigerweise vermeint man auch bei Sternmut die Standardthemen der Lyrik zu erkennen: der Mensch, das Leben, der Tod, die Liebe, die Natur. Und auch wenn er zu spezielleren Angelegenheiten kommt, welche unseren Alltag beschweren (Sucht, Geldgier, Amok, Politik), wird er nicht larmoyant – dennoch spürt man, wie er mitfühlt.

Der ganze Irrsinn lässt ihn nicht kalt, aber er schwächt ihn nicht – vielmehr fordert er ihn heraus zur Positionierung. Und nun müsste man eben fragen: wie viele seiner Mitmenschen werden Sternmut folgen können und wollen an seinem roten Wortfaden entlang, wenn es womöglich „keine Aussicht auf Wirklichkeit“ gibt? Hier drängt sich auch immer wieder Wittgensteins Diktum auf: Die Grenzen meiner Sprache sind die Grenzen meiner Welt.“

Wie erkenntnisträchtig sollen Sternmuts Verse sein: „Aus Büchern Zeilen / Brüchen was eigentlich wirkt im Grund / der Seele wer weiß von sich selbst?“ Sollen wir denn mit säkularer Demut unsere Ratlosigkeit zelebrieren:

„verworren in engen Hirnschalen“? Doch da wird der engagierte Sternmut relativ konkret: „den Windmühlen der Angst / setzen wir unseren Gleichmut entgegen / die Leidenschaft das Wort“ – auf dass „sich tötet was uns tötet / sich erledigt was uns zwingt“ – und wir den „Krüppelpfad der Erkenntnis“ sicher durchschreiten und überwinden.

Bleibt unter anderem die Frage, wie wir der „Hirnverstumpfung“ entgehen – wie setzen wir die „Gedankenschrauben“ an?! Da bleibt der bescheidene Wunsch: „bei sich sein einmal am Tag / zwanzig Minuten mindestens.“ Und daraus quasi die Parole gewinnen: „wir wollen uns: doch verändern.“

Für Sternmuts Lyrik benötigt man jedenfalls mehr als zwanzig Minuten, damit es nicht heißt:

„ins Sein geworfen Brüder und Schwestern / ihr habt nichts verstanden / keine Wortschöpfung.“ Damit nicht der „Seelenkot“ und die „Sternkacke“ dominieren, so bewegen wir uns im Spannungsfeld zwischen unserem Willen und der Verwesung. Und wir sind es selbst, die zu sich finden und dem Sinn, der sich hinter dem Finden verbirgt. Sternmut hat uns herausgefordert – wir können im standhalten oder ins restliche Leben flüchten. Dort begegnen wir scheinbar eingängigeren Wortkombinationen – aber die Sprachmagie verbleibt eben bei modernen Poeten, welche sich ihrer Verfügbarkeit erwehren.

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