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Ioana Nicolaie: wurde 1974 in Sângeorz-Băi, im
Norden Rumäniens geboren. Sie studierte Literatur an der Universität Bukarest.
Anschließend arbeitete sie als Lehrerin, Jounalistin und für diverse Verlage.
Heute lebt sie als freie Autorin in Bukarest. 2000 veröffentlichte sie als
Debutpreisträgerin ihren ersten Gedichtband „Retuschiertes Foto". 2002
folgte „Der Norden". Dieser Band wurde für den ASPRO-Preis nominiert.
2003 kam der thematische Folgeband „Der Glauben" heraus, der ebenfalls
für mehrere Preise nominiert wurde. 2005 folgte ein weiterer Lyrikband „Der
Himmel im Bauch", der 2006 für den Eastern European Award nominiert wurde.
Ausgewählte Gedichte sind bereits in Österreich, Frankreich, England, Schweden
und Kanada erschienen.
Lieferbare Titel von Ioana
Nicolaie:
Ioana
Nicolaie: Der Norden, Gedichte. Aus
der Rumänischen übersetzt von Eva Ruth Wemme. (LYRIK- Sammlung); 122
Seiten, ISBN: 978-3-937139-43-2 Preis: 16,30 Euro
Über Ioana
Nicolaie:
Heranwachsend
Ioana Nicolaie thematisiert in „Der Norden“ eine Mädchenkindheit
Der Titel „Der Norden“ assoziiert Kühle, ja Kälte.
Diese Gedankenverknüpfung unterstreicht auch das Buchcover, das ein Porträtfoto
der Dichterin ziert, deren Haar und schwarze Mütze mit Schnee bestäubt
sind. Zwar ist die Lyrikerin tatsächlich im Norden geboren und
aufgewachsen, aber es ist der Norden Rumäniens – ganz in der Mitte
Europas. Von dieser geographischen Heimat handeln die Gedichte auch. Eher
ist es eine emotionale Frostigkeit, die über dem Werk liegt. Gefühle wie
Angst, Entsetzen, Trübseligkeit, Gleichförmigkeit und Verlassenheit sind
vorherrschend.
Der Band enthält 53 Gedichte, die überwiegend
Ein-Wort-Titel tragen, wie „Teer“, „Belauert“, „Damals“ oder
„Schämen“. Die meisten der Gedichte haben einen Umfang von ein bis zwei
Seiten, lediglich „Rückkehr“ umfasst 18 Seiten und integriert auch
Prosapassagen.
Die Gedichte von Ioana Nicolaie zeichnen sich durch eine hohe
Ich-Bezogenheit aus. Geboren 1974, ist sie eine Vertreterin jener
Generation, die in den 1990er-Jahren debütierte und sich bevorzugt mit dem
eigenen Leben, dessen Alltäglichkeiten und ebenso mit traumatischen
Erfahrungen künstlerisch auseinandersetzt. In der den Gedichten
vorangestellten Widmung erscheinen namentlich neben den Eltern auch alle
ihre zehn Geschwister, die in den Poemen Erwähnung finden.
Nicolaie zeichnet die Entwicklung eines Mädchens bis ins
junge Erwachsenenalter nach und greift dabei bis auf die Zeit vor ihrer
Geburt zurück. Die Lektüre hinterlässt beim Leser einen bedrückenden
Eindruck. Ioana Nicolaie präsentiert eine wenig glückliche Kindheit. Immer
wieder wird die Mutter ungewollt schwanger, ist von der Arbeit überlastet.
Das Ich in den Gedichten fühlt sich ungeliebt und einsam. Schon das Leben
des Kindes ist angefüllt mit Arbeit, sei es bei der Beaufsichtigung der jüngeren
Geschwister, deren Aufzucht trotz Liebe strapaziös ist, oder bei der
Mithilfe in Haus und Garten. Die Rede ist von Armut, Hunger und unerfüllten
kindlichen Wünschen. In der Schule scheint das lyrische Ich Außenseiterin
zu sein, findet sich hässlich und von anderen beleidigt. Daraus entwickelt
sich eine große Sehnsucht nach Liebe und Geborgenheit, die die erwachsen
Gewordene in der Rückschau dann doch in einzelnen Momenten entdecken kann,
etwa dann, wenn der Vater über alles wacht. Nur das lange Gedicht „Rückkehr“
lässt so etwas wie Harmonie und Einssein mit dem Vater oder der Großmutter
spüren.
Protokolliert wird die körperliche Entwicklung vom Mädchen
zur Frau. Zunächst noch wie ihre Brüder knabenhafter Gestalt und in Hosen
gekleidet, fühlt sie sich eher geschlechtslos („die schiefen Knäule der
Brüste; die kleben nachts schmerzend; auf deinem rechten Brustbein; du
Jungenmädchen“), später als Mädchenmädchen.
Ioana Nicolaie versucht, weiblichem Denken und Gefühlen
Ausdruck zu verleihen, besteht dabei auf Authentizität und Übertragung der
Wahrheit ins Ästhetische. Sie veröffentlichte in Rumänien seit 2000 unter
anderem vier Lyrikbände sowie einen Roman und wird zu den wichtigsten
jungen Stimmen der Gegenwartliteratur ihres Landes gezählt. Eva Ruth Wemme
hat dazu stimmige Nachdichtungen geschaffen.
Kulturtipps von Uli Rothfuss im SWO
| Kunstportal Baden-Württemberg von 24.01.2009
Buch der Woche: Der Norden“ von Ioana Nicolaie
Gedichte wie Bilder, die den Leser hineinziehen mit ihrem magischen
Sprachfluss, Teil des Bildes werden lassen. Der Leser gibt schnell allen
Widerstand auf und lässt sich einfach, nein, nicht mittreiben, sondern mitreißen
von der Wortmacht dieser Dichterin; schon in der deutschen Übersetzung machen
die Wortfolgen zittern, wie erst mag es in der rumänischen Ausgangssprache
sein? Zweifellos für diese Ausgabe ein Verdienst der Übersetzerin Eva Ruth
Wemme.

Welche Ausdruckskraft: „... noch verhedderte die Sonne mit ihren paar Zähnen/
die Vorhänge ...“, diese Dichterin findet außergewöhnliche, und doch
scheinbar lange gekannte Bilder für ihre inneren Zustände, die sie für uns
nach außen bringt, „noch hatte der Morgen weiche Hände ...“ – das sind
Ur-Zustände, die mit Worten fassbar gemacht werden.
Ioana Nicolaie holt das Tägliche herein in ihre Gedichte, ohne dass es täglich
wirkt. Sie verwendet Alltagssprache, ohne dass das Gedicht in Profanität kippt,
im Gegenteil: die Ästhetik dieser Sprache kehrt den Alltag um und verwandelt
ihn in Synonyme für höhere Welten, in die wir beim Lesen der Gedichte
hineinzureichen versuchen.
Es ist dies nicht zuletzt ein Erinnerungsbuch an Mutter und Vater. Realistisch
anmutend, in vielem, und doch hinter dieser Fassade der brüchigen Osthäuser
eine liebevoll gepflegte Behausung der sorgsam aufgeschichteten Erinnerung, an
frühere Zeiten, die zugleich das Jetzt illustrieren, dass Werden, das Kommen
und, vielleicht ferne, Gehen.
„... wenn Poesie nur Entwirren ist,/ verlier dich nicht in ihrem Abgrund“,
warnt Ioana Nicolaie. Ihre Dichtung hat Abgründe, und in diesen sich zu
verlieren ist der Reiz des Lesens ihrer Gedichte. Aber Poesie ist eben nicht nur
Entwirren, sondern vor allem, und vor allem bei ihren Gedichten: Entdecken. Das
sollte Vorrang haben, und bei den Gedichten von Ioana Nicolaie verheißt es
Fundstücke, welche bleiben.
Ioana Nicolaie: Der Norden, Gedichte, brosch., 122 S., Pop-Verlag, Ludwigsburg
2008, 16.30 Euro
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